Samstag, 24. Januar 2009
 
Peru: Dem schlimmsten Kriegsmassaker auf der Spur PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ángel Páez, comcosur   
Mittwoch, 11. Juni 2008

Der schmutzige Krieg in Peru, der vor allem unter der wehrlosen Zivilbevölkerung tausende Opfer forderte, ist noch lange nicht aufgearbeitet. Die Freilegung eines Massengrabes, wo die Opfer des wahrscheinlich größten Armeemassakers verscharrt wurden, stieß auf Widerstand und Indifferenz.


Es war nicht schwer, die Leichen zu finden. Sie lagen nicht tief in der Erde. Aber die Bauern der Gemeinde Putis mussten 24 Jahre darum kämpfen, dass sie jetzt exhumiert werden. 1984 sind in Putis, in der peruanischen Provinz Huanta, 125 Männer, Frauen und Kinder von Soldaten erschossen worden, nachdem sie zuvor ihr eigenes Grab schaufeln mussten.

Erst jetzt kommt nach und nach und dank des Einsatzes der Familienangehörigen die Wahrheit über das größte Massaker an der peruanischen Zivilbevölkerung ans Licht, das sich während der Kriegs in Peru (1980-2000) ereignet hat. Seit dem 17. Mai wurden 60 Leichen gefunden, darunter die von zehn Kindern im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Als wir mit IPS (Inter-Press Service) im November 2006 vor Ort waren, zogen die Angehörigen von einem öffentlichen Büro zum nächsten und baten darum, dass man ihre Toten ausgrabe.

Nach peruanischen Gesetzen müssen die Verwandten, wenn sie für ihre Toten aus dem bewaffneten Konflikt, der insgesamt fast 70.000 Opfer forderte, Gerechtigkeit wollen, zuerst den Tod ihrer Angehörigen beglaubigen lassen. IPS fand Gerardo Fernández, einen Überlebenden des Massakers. Verzweifelt über die Politik des Vergessens der Regierung schaffte er es, nach jahrelanger Arbeit ein Register der Toten vorzulegen. Darin stehen auch seine Mutter und sein dreijähriger Sohn. Er war eine der wichtigen Personen, die half, die geheimen Gräber ausfindig zu machen.

"Die Exhumierung in Putis ist ein besonderer Fall: niemand hat den Bewohnern, die in der Mehrheit Quechua sprechen, zugehört. Außerdem kümmert sich nicht der Staat um die Exhumierungen, sondern eine NGO, die Gruppe Forensische Anthropologie aus Peru (EPAF)", erklärte der Präsident der Vereinigung Frieden und Hoffnung, Norbert Lamilla, der die Arbeiten koordiniert.

"Eigentlich müsste sich das Institut für Medizin und Justiz (das der Generalstaatsanwaltschaft untersteht, d. Autor) um die Arbeit kümmern", sagt Lamilla. Und fügt hinzu: "Aber weil das Institut nichts tun wollte, mussten wir EPAF anfragen. Das Institut sagte, sie hätten keine Gelder und keine Zeit für die Arbeiten, am Ende haben sie behauptet, es handele sich bei Putis um eine gefährliche Zone und sie bräuchten erst eine Bestätigung des Geheimdienstes, um dorthin reisen zu können. Es kümmerte sie nicht, dass es um das größte Massengrab geht, an das man sich erinnert."

Lamilla weiter: "Die sterblichen Überreste lagen dort und es bestand die Gefahr, sie zu verlieren. Die Bauern müssen ihren Schmerz beerdigen, ihre Angehörigen identifizieren und sie richtig bestatten können. Die sterblichen Überreste ungeschützt dort liegen und Wind und Wetter ausgesetzt zu sehen und zu wissen, dass der Staat nichts für sie tut, das greift die Leute psychisch an."

Das Massaker von Putis wird auch im Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission CVR (Comisión de la Verdad y Reconciliación) erwähnt, der 2003 veröffentlicht wurde. Dort wird die Empfehlung ausgesprochen, die Leichen zu exhumieren, die Tat zu untersuchen und die Schuldigen zu bestrafen. Man weiß nur, dass die Personen, die das Massaker befehligten, "Hauptmann Baretta", "Kommandant Óscar" und "Leutnant Lalo" gerufen wurden. Der damalige Chef von Polizei und Armee in der Zone war General Wilfredo Mori Orzo.

"Die Gemeindemitglieder von Putis wurden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen von den Soldaten zusammengerufen, wurden gezwungen, ein Massengrab auszuheben und dann im Dezember 1984 erschossen", stellt der Wahrheitsbericht fest. Die Armee ging zu der Zeit gegen die Guerillabewegung Túpac Amaru (MRTA), aber v.a. gegen die maoistische Guerillagruppe Sendero Luminoso vor, die in der Zone sehr aktiv war.

"1984 nehmen die Aktionen der Aufständischen zu. Die Berge von Santillana hatten sich in eine Zone verwandelt, wo Sendero Luminoso sehr aktiv war. Die Guerilla ging die Bauern immer wieder um Unterstützung an und drängte sie, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen. Vor diesem Hintergrund wird in der Gemeinde Putis eine Militärbasis eingerichtet, die im November 1984 mit ihrer Arbeit beginnt", so der Wahrheitsbericht.

Im darauffolgenden Monat ereignete sich das Massaker.

Die Militärs beschuldigten die BewohnerInnen von Putis, dem Sendero Luminoso zu helfen. Die Menschen haben jedoch vielmehr Furcht vor der Guerilla gehabt. Es war nämlich gängige Praxis, dass die Guerilla die tötete, die sich ihr nicht anschließen wollten oder mit der Armee kollaborierten.

Dieser doppelten Bedrohung seitens der Guerilla und der Armee ausgesetzt, verließen viele BewohnerInnen ihre Häuser und verstreuten sich in verschiedene Gemeinden in der Zone, die auf 3500 m Höhe liegt. Aber die Armee überredete die BewohnerInnen, nach Putis zu kommen. Man würde sie schützen. "Der Vorschlag der Militärs war, dass die BewohnerInnen ihre Behausungen weiter unten aufschlagen sollten, damit sie sie besser gegen die Aufständischen schützen könne. Aber in der Realität waren viele der BewohnerInnen den Militärs verdächtig, mit den Aufständischen zu kooperieren", so der Wahrheitsbericht.

Weiter heißt es dann im Bericht: "Müde, in den Hügeln zu leben, akzeptierten die Gemeindemitglieder den Vorschlag und zogen nach Putis. Die Soldaten empfingen die Menschen und brachten sie in ein Haus, das als Schule benutzt wurde. Dort waren schon andere Personen, die die Soldaten aus ihren Häusern geholt hatten. Man versicherte den Menschen, dass man ihnen ab sofort Schutz gewähren würde. Man würde ihnen auch bei Bauarbeiten helfen, um die Lebensqualität im Dorf zu verbessern."

Dann fährt der Bericht fort: "Unter diesem Vorwand zwangen die Militärs alle Männer mit vorgehaltenen Waffen, einen großen Graben auszuheben. Man sagte ihnen, das solle ein Becken werden, um Forellen zu züchten. Anderen versicherte man, dort werde man Häuser bauen. Als das angebliche Becken fertig wurde, holten die Soldaten alle BewohnerInnen zusammen, Männer, Frauen und Kinder, und ohne große Erklärung begannen sie, sie zu erschießen."

Die Soldaten raubten danach das Hab und Gut der Ermordeten und verkauften ihre Tiere. Um das Verbrechen zu vertuschen, behauptete man, es habe Auseinandersetzungen mit Aufständischen gegeben. 15 Guerilleros seien dabei zu Tode gekommen. Während der Exhumierung haben die Hunde der EPAF Projektile von Armeewaffen gefunden. 2003 bat die Wahrheitskommission das Verteidigungsministerium um eine Liste mit den Namen der Offiziere, die in der Region 1984 Dienst geleistet haben. Die Antwort war, diese Information existiere nicht.

"Man weiß durch die ZeugInnen, dass es Soldaten einer Aufstandsbekämpfungseinheit waren, die sich für zwei oder drei Jahre in Putis aufhielten und von den Militärbasen San José de Secce, in Santillana, und Castropampa, in Huanta, kamen. Die Militärbasen unterstanden wiederum dem Militär-Politischen Kommando von Huamanga, Ayacucho", so Lamilla. Mori Orzo wurde im August 1984 zum Chef dieses Kommandos. "Wir sind dabei, die Befehlskette und danach die persönliche Verantwortung der Offiziere zu rekonstruieren", so Lamilla.

Derzeit beaufsichtigt Rubén López die Exhumierungen. Die Aufgabe ist schmerzhaft, denn das Grab befindet sich in einer schwierigen Zone. In den ersten Tagen fanden die Spürhunde Überreste von 25 Personen und 15 Patronenhülsen.

Die Angehörigen helfen dabei, die Toten anhand ihrer Kleidung, einem Ring, einer Socke oder irgendetwas Persönlichem zu identifizieren. "Die extreme Armut in Putis schreit zum Himmel. Die Menschen hier haben nichts zu essen und schon gar kein Geld, um einen Sarg zu bezahlen. Deswegen rufen wir dazu auf, Geld zu spenden, damit die Opfer begraben werden können", so Lamilla.

"In Putis haben sie ganze Familien ermordet. Die Familie Condona Quispe, die Familie Centeno Chávez, die Familie Gamboa Ccente, die Familie Madueño Curoi und die Familie Condoray Huallasco“, sagt Gerardo Fernández: „Wer setzt sich für sie ein, wenn alle tot sind?"

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